Von Masken, Freiheitsfetisch und Weltverschwörungen – Neoliberalismus und die Seuche
(1) Maskenhass – Warum eigentlich?
Corona hat mich erwischt. Fieber und Husten verdammen mich zu Untätigkeit – ich kann wenig mehr tun, als im Bett zu liegen. Um diese Situation zu nutzen, führe ich nun ein kleines ‚Corona-Tagebuch‘. Darin will ich der Frage nachgehen, was der Umgang mit der Pandemie über unsere Gesellschaft aussagt. Wieso sind Maskenträger:innen so verhasst? Wieso reden alle von der Freiheit? Gibt’s eigentlich noch einen Unterschied zwischen Querdenken und der herrschenden Politik? Diese und andere Fragen (und meine eigenen Erlebnisse) werde ich in diesem Tagebuch reflektieren.
Wer dazu mehr lesen will: Im Herbst erscheint bei der wunderbaren Editions Assemblage mein Buch „Die Freiheit, die sie meinen“. Darin zeige, wie sich in der Pandemie die autoritäre Version des Neoliberalismus durchsetzt. Autoritäres Denken, Verschwörungsglauben und Sozialdarwinismus sind normalisiert. Wer mag, kann hier vorbestellen: Editions Assemblage.
Am schlimmsten waren eigentlich die verächtlichen Blicke
Gestern hatte ich eine der unangenehmsten U-Bahn-Fahrten meines Lebens. Der Grund: Ich wagte es, eine Maske zu tragen.
Ich war frühmorgens verschwitzt, mit Atemnot und Fieber aufgewacht. Der Verdacht lag nahe: Corona. Um das zu überprüfen, wollte ich schnellstmöglich einen PCR-Test machen. Natürlich gibt es, da die Bundesregierung ja davon ausgeht, dass Corona vorbei sei, nur noch ein offenes Testzentrum in München (Bevölkerung 1,4 Millionen). Es blieb mir, der ich kein Auto habe, also nichts übrig, als den ÖPNV zu nutzen. Natürlich mit FFP2-Maske.
Was ich darauf erlebte, war ein Spießrutenlauf. Durch die Bank begegneten mir böse, verächtliche Blicke. Als hätte ich etwas Ekelhaftes im Gesicht. Ein älteres Paar gaffte mich unentwegt blöd an, eine Person machte hörbar Würgegeräusch und zeigte dabei auf mich, andere grinsten mit bösartig-überlegenen Gesichtsausdruck. Ich wurde mit Blicken und Gesten gegrillt, als sei ich ein Aussätziger.
Ich berichtete von diesem Erlebnis, das mich doch sehr beschäftigt, auf twitter. Und bekam unerwartet viele Reaktionen: Manche Menschen (und das macht Mut!) berichteten, dass sie in öffentlichen Verkehrsmitteln noch keinen Hass abbekommen haben. Es gab aber auch genügend Kommentator:innen, die ähnliches erlebt haben: Böse oder abfällige Blicke, Sprüche (in der Art von „Corona ist vorbei“), verächtliche Bemerkungen. Einige User:innen schrieben mir per DM sogar davon, dass sie, als vulnerable Personen, sich gar nicht mehr in den ÖPNV trauen, da sie Angst vor dem Hass auf Maskenträger:innen haben.
„Angst“ und „Hysterie“ – Masken sind nicht beliebt. Wirklich nicht beliebt.
Tatsächlich, Maskenträger:innen haben es schwer: Der österreichische Journalist Sebastian Reinfeldt kann ein Lied davon singen. Im Zuge der twitter-Aktion #Maskup, in der Menschen dazu aufrufen, weiter FFP-2-Masken zu tragen, postete er ein Bild von sich mit Maske im Zug. Die Reaktion, wie er in eine Artikel auf semiosis.at darlegt, kam umgehend: Eine Meute aus rechtslastigen Journalist:innen und twitter-Nutzer:innen fiel über ihn her. Maskenträger:innen sind eben „die neuen Außenseiter“, wie Deutschlandfunk-Kultur schon vor einem Jahr bemerkt.
Und das kann nicht verwundern: Kaum, dass die Pandemie ausgebrochen ist, startete eine mediales Dauerfeuer gegen das Tragen von Masken. Um nur ein paar jüngere Beispiele zu nennen: Rechte und liberale Politiker:innen verbreiteten die (falsche) Ansicht, Maskentragen habe das Immunsystem geschädigt. Die Tageszeitung Die Welt verkündete, es herrsche ein irrationaler, Angst-getriebener, „sozialer Druck“ zum Tragen von Masken. In markigeren Worten jubilierte die rechte Postille exxpress aus Österreich, dass nun endlich die „Masken-Hysterie“ ende. Und Julian Reichelt twitterte davon, dass Maskenträger:innen angstgestörte Menschen seien.
Kurz und schlecht: Masken werden als böse wahrgenommen. Genauer: Als schädlich („sie bedrohen das Immunsystem“), als Folge von Zwang („wer Maske trägt, ist doch ein hyper-moralischer Gutmensch“) und als Ausdruck von Angst („Maskenträger sind doch alle angstgestört“). Es entsteht ein politisches und gesellschaftliches Klima, in dem das Tragen von Masken beinahe so etwas ist wie ein Tabu: Eine Überschreitung ungeschriebener, sozialer Regeln. Wer Masken trägt, wie etwa der Journalist Sebastian Reinfeldt, macht sich zur Zielscheibe.
Das bisschen Verdrängung …
Aber, warum eigentlich? Woher kommt dieses Klima des Masken-Hasses? Und warum reagieren Menschen so aggressiv auf Maskenträger:innen?
Im Grunde liegt die Antwort darauf an der Oberfläche: Die Maskengegner:innen assoziieren diese mit Angst, sozialem Druck und einer diffusen Bedrohung. Das ist doch eigentlich seltsam, könnte mensch meinen: Denn nicht die Maske bedroht die Gesundheit, sondern eine globale Seuche, vor der die Maske ja eigentlich schützen soll. Eine globale Seuche, vor der Angst zu haben, ja durchaus rational ist. Und, eine globale Seuche, die effektiv nur durch solidarische Maßnahmen zu bekämpfen wäre. Im Diskurs der Maskengegner:innen wird dieses Verhältnis verzerrt: Die Seuche tritt in den Hintergrund, sie verschwindet – und das, was mit ihr verbunden ist, wird auf die Masken und die Träger:innen übertragen: Nicht mehr der Seuchentod ist die Bedrohung, sondern die Maske. Die Angst vor Covid-19 ist dann, da die Seuche ja einfach verdrängt wird, nur mehr eine irrationale Störung der Maskenträger:innen. Und Versuche, solidarisch aus der Katastrophe zu kommen, sind dann, da die Seuche ja für die Maskengegner:innen gestrichen wurde, nichts mehr als Tugendterror.
Der zentrale Punkt ist hier natürlich die Verdrängung: Die Seuche stellt die herrschende Ordnung in Frage. Die Normalität ist gestört. Das Leben wird plötzlich auch für Menschen in den Industrienationen gefährlich. Die Krise zeigt: Es kann so nicht weitergehen, was bisher normal war, geht nicht mehr. Das ist aber der größt-mögliche Skandal für unsere Gesellschaftsordnung, die der britische Marxist Mark Fisher einmal als „kapitalistischen Realismus“ bezeichnet hat. Den kapitalistischen Realismus zeichnet eine radikale Alternativlosigkeit aus. Seit dem Ende des Kalten Kriegs wird uns diese ununterbrochen verkündet: Politik, Medien, Kultur – überall wird in Dauerschleife erzählt, dass die bestehende Ordnung die natürliche Ordnung der Dinge sei, unveränderbar, überhistorisch, alternativlos. Und dann kommt die Seuche, und erschüttert alles: Unsere Lebensweise, die Art, wie wir produzieren, alles steht in Frage. Der freie Markt spielt plötzlich gar keine Rolle mehr, stattdessen muss plötzlich der Staat proaktiv handeln und das Individuum steht vor existentiellen Fragen: Wie soll das Leben weitergehen, was ist wichtig, wie können wir uns helfen und gegenseitig schützen?
Für das neoliberale Subjekt muss diese Störung puren Horror auslösen. Die Seuche bedeutet nicht nur für den:die Einzelne:n eine Gefahr. Sondern es bedeutet auch, dass die bestehende Ordnung nicht ewig, nicht alternativlos ist. Alles kann anders werden, ein kleiner Virus kann bereits die Normalität in Frage stellen – und entlarvt damit die Lebenslügen von Individualismus, Neoliberalismus und Freiheitsfetisch. Dies muss natürlich für diejenigen, die an diese Lügen glauben, also die neoliberalen Subjekte, schmerzhaft sein. Egal was der Life-Coach noch sagte - keine individuelle Stärke kann vor dem Leiden und Tod durch Corona schützen. Und egal, was in FDP-Wahlkampf-Reden verkündet wird, der freie Markt regelt Corona nicht.
Es bleibt damit für das neoliberale Subjekt, entweder, sich die eigenen Lebenslügen einzugestehen, und damit, sich mit der Angst einer gestörten Welt, in der es viele Alternativen und Gefahren gibt zu konfrontieren. Oder aber, es kann an dem Schein der Normalität festhalten – aber nur, wenn die Seuche verdrängt wird. Um die Seuche zu verdrängen, reicht es aber nicht, so zu tun, als wäre sie nicht da: Sie ist ja da, eine materielle Realität, die sich nicht nur in Krankheitsfällen zeigt, sondern eben zum Beispiel im Sozialverhalten, etwa im Tragen von Masken, zeigt.
Autoritär durch die Krise – Ein Cliffhanger
Und hier kommen wir zum springenden Punkt: Die Maskenträger:innen manifestieren gewissermaßen sichtbar, dass eben nicht alles in Ordnung ist. Dass die Gesellschaft durch die Seuche gestört und keineswegs alles normal ist. Die Reaktion der neoliberalen Subjekte besteht nun darin, dass sie das, was eigentlich mit Corona verbunden ist, insbesondere die Angst, auf die Maskenträger:innen projizieren und in ihnen als Störung darstellen. Nicht die Welt ist durch die Seuche gestört, sondern die Maskenträger:innen sind es in diesem Diskurs. Indem die Maskenträger:innen also als krank dargestellt werden, kann die Illusion aufrecht erhalten werden, dass alles normal ist. Nicht die Normalität ist dahin, sondern die, die dies realisieren und sich entsprechend verhalten, sind nicht normal.
Daraus ergibt sich dann auch der Grund für die Aggression, der sich gegen Maskenträger:innen richtet: Diese stören eben die Illusion und damit letzten Endes die Subjektposition des neoliberalen Subjekts. Ihre Anwesenheit demonstriert, dass etwas nicht stimmt, in der Welt. Die Antwort für diejenigen, die diese Störung verdrängen wollen, kann darum auch darin bestehen, sich gegen die Maskenträger:innen, als diejenigen, die das manifest machen, zu richten. Die eigene Unsicherheit wird in Aggression umgewandelt und, in dieser Aggression kann sich das verunsicherte Subjekt wieder als überlegen erfahren: Werden Maskenträger:innen als „hysterisch“ verunglimpft, ausgelacht, verhöhnt, bedeutet das nämlich zugleich, dass diejenigen, die das tun, sich selbst überhöhen. In Spott und in den Beschimpfungen sagen sich die Maskengegner:innen also unbewusst selbst: Wir sind die richtigen, wir haben den Durchblick, alles ist gut, wir sind auf der Siegerseite.
Diese Struktur ist typisch für den autoritären Charakter, den Adorno vor mehr als 80 Jahren untersuchte. Wie der autoritäre Charakter mit dem Umgang mit der Corona-Krise zusammenhängt, und warum uns das in Bezug auf die Klima-Krise Sorgen bereiten sollte, werde ich morgen, im nächsten ‚Tagebuch‘-Eintrag diskutieren. Fürs erste merke ich, dass mich schreiben müde macht, und das Fieber zurückkehrt. Darum ende ich hier mit einem Cliffhanger -